Mit allen Sinnen die Welt begreifen Für Kinder stellt die sinnliche Wahrnehmung den Zugang zur Welt dar. Sie ist die Wurzel jeder Erfahrung.
Wahrnehmen ist ein aktiver Prozess, bei dem sich das Kind mit allen Sinnen seine Umwelt aneignet und sich mit ihren Gegebenheiten auseinandersetzt. Durch die Sinne begegnet es den Lebewesen und Dingen. Es kann sie sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen, sich mit ihnen bewegen. Die Sinne liefern dem Kind viele Eindrücke über seine Umwelt und über sich selbst in Zusammenhang mit ihr. Das Greifen ist auch immer ein Begreifen, das Fassen ein Erfassen. Um solche Erfahrungsprozesse zu ermögliche brauchen Kinder eine Umwelt, die ihrem Bedürfnis nach Aktivitäten und selbstständigem Handeln entgegenkommt. Sie brauchen vielfältige Möglichkeiten für den Einsatz und die Erprobung ihrer Sinne. Im Spiel findet eine Verknüpfung von motorischen, sozialen und gedanklichen Prozessen statt und fördert damit die Vernetzung im Gehirn (sensorische Integration).
„Der Seele Nahrung geben“
Der „Erkenntnisweg“, dem das Kind im ersten Jahr siebt folgt, ist Handeln – Fühlen – Denken. Deshalb sind die Kinder besser über eine Tat, über ihren Willen ansprechbar und nicht durch Ermahnungen oder Belehrungen, die nur den Intellekt des Kindes ansprechen. So nimmt das Kind nicht nur äußere Handlungen über die Nachahmung auf, sondern auch unsere Mitmenschlichkeit unserer Umgebung gegenüber. Dies bildet später die Grundlage für eigenes verantwortliches und moralisches Handeln. Das Kind soll sich mit allen Sinnen erleben, mit dem ganzen Körper bewegen, mit Händen und Füßen tätig sein, seine Umwelt ergreifen, begreifen. Jedes Kind braucht ein breites Spektrum unterschiedlichster Herausforderungen, um die in seinem Gehirn angelegten Verschaltungen aufzubauen und zu festigen. Jene Verschaltungen entwickeln sich idealer Weise zusammen mit dem Körpergefühl. Förderlich sind immer eine gute Ausbildung des Gleichgewichtssinns, der Handgeschicklichkeit sowie alles, was das Hören und Sprechen fördert.
Die Sinne des Kindes sind offen für alles, was von außen, von der Umgebung, von den Erwachsenen auf das Kind einwirkt. Darum sind die nur wenig ausgeformten Spielmaterialien zur Pflege der Sinnesentwicklung geeignet. Das Kind soll durch Nachahmung der Erwachsenen, der Erzieherinnen, bewusst zu phantasievollem Spiel angeregt werden. Deshalb ist das Spielmaterial im Waldorfkindergarten einfach und vielfältig: Körbe mit Tannenzapfen und Kastanien, Aststücke und Steine, Muscheln und Schneckenhäuser, Tücher und Spielständer, Bänder, einfache Puppen, gestrickte und aus Holz gefertigte Tiere. Nichts ist fertig, alles kann sich verändern: Kastanien können die Kartoffeln im Kaufmannsladen sein, aber ebenso sind sie das Granulat, das der Schneepflug ausstreut oder sind der Schatz, den die Seeräuber finden müssen. Spieltücher sind in Ihrer Vielfältigkeit wohl unerreicht.
„Das Freispiel"
Dem Spielen des Kindes Raum und Zeit zu schaffen, in dem Kindsein sich wirklich entfalten kann, ist daher das Hauptanliegen des Waldorfkindergartens. So ist es unsere Aufgabe, dem Kind eine solche Umgebung zu schaffen, die Ihm ermöglicht, dasjenige zur Entfaltung zu bringen, was in ihm bereits lebt. Wir stellen dem Kind eine lebendige, naturnahe Spielwelt zur Verfügung, in der es sich seinem Wesen gemäß entfalten kann und die ihm sämtliche Möglichkeiten zur schöpferischen Betätigung bietet. Freies Spiel mit Holz, Wolle, Steinen und anderen Naturmaterialien sowie das Malen, Plastizieren, Werken, Musizieren, Gärtnern, Bauen und Buddeln spricht alle Sinne an und fördert Phantasie, Kreativität und Spontaneität im Kinde. Wenn ein Kind schöpferisch gestaltend spielen und aus wenigem eine lebendige Welt aufbauen kann, wird es als Erwachsener leichter in der Lage sein, das Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.
„Kinder macht es Freude, sich zu bewegen"
Voller Neugier und Entdeckungsdrang sind sie dabei, die Welt zu entdecken. Bei uns können die Kinder klettern, balancieren, werfen, kullern, springen, tasten. Die Kinder kommen über Sinnes- und Bewegungserfahrungen mit sich und ihrer Welt ins Gleichgewicht.
„Lernen durch Vorbild und Nachahmung – Mensch sein"
Das Kind in den ersten sieben Jahren nimmt durch die Nachahmung Kontakt mit seiner Umwelt auf. Die Kraft nachzuahmen bringt jedes gesunde Kind mit auf die Welt. Vorbilder sind die Menschen in seiner nahen Umgebung. Mensch sein lernt der Mensch nur am Menschen. (Novalis) In dieser frühen Kindheit ist das Interesse des Kindes ganz auf Gesten, Gebärden und Bewegung gerichtet. Durch Bewegung entwickelt sich Sprache, durch Sprache entwickeln sich Gedanken. Wenn das kleine Kind sich ganz hineinbegibt in die Gesten, die Bewegung, so nimmt es aber nicht nur das äußere Bild war. Die Gesinnung der Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung, deren Seelenhaltung, werden nachgeahmt und Bestandteile des eigenen Lebens und Handelns. Die moralischen Qualitäten, die das Kind aus seiner Umgebung aufnimmt, entscheiden für sein künftiges Leben.
„Vom Tätigsein"
Die Tätigkeiten im Waldorfkindergarten sind so gestaltet, das das Kind Impulse empfängt, die nachgeahmt werden können und sollen, die sinnvoll und durchschaubar sind: am Brötchenbacktag wird das Korn gemahlen. Dann wird mit den Händen geknetet. Wie fühlt es sich an, wenn Mehl, Öl, Hefe und Wasser durchgeknetet werden? Dann wird geformt, verziert, gebacken und das Frühstück gemeinsam verzehrt Auch andere Tätigkeiten wie sägen und raspeln an der Werkbank, weben und nähen sind so gestaltet, dass Kinder, wenn sie möchten, mitschaffen können. Die wertvollen Nachahmerkräfte werden bei uns zudem gezielt angesprochen durch Reigen, Fingerspiele, Märchen und Eurythmie (Sprache und Bewegung), sowie durch das Gestalten und Dekorieren der Räume. Die Spielideen des Kindes kommen aus seinem unmittelbaren Erfahrungsbereich. Es erhält immer wieder neue Impulse durch die verschiedenartigen Tätigkeiten der Erwachsenen.
„Rhythmen"
Lebenskräfte stärken durch Rhythmus, Wiederholung, Regeln und Rituale Der Mensch ist in viele lebenstragende Rhythmen hineingestellt wie Wachen - Schlafen, Sommer - Winter, Schmerz - Freude, etc. Der Grundtypus des Rhythmus ist der Atem. Das heißt: Rhythmus meint keine verfestigte Wiederholung, sondern etwas Lebendiges: Ein- und Ausatmen, Spannung und Lösung. Die körperliche und seelische Gesundheit ist von dem harmonischen Zusammenwirken der Rhythmen abhängig. Rhythmus trägt Leben, er ist Träger unserer Gesundheit (s. Rudolf Steiner). Rhythmus und Wiederholung sind gerade in den ersten sieben Jahren von besonderer Bedeutung: Der sich wiederholende, geregelte Ablauf eines Tages, einer Woche und eines Jahres gibt dem Kind Sicherheit und Geborgenheit und bewirkt eine innere Ausgeglichenheit. So gleicht der Tageslauf im Kindergarten einem ständigen Ein- und Ausatmen. Phasen des freien Spiels wechseln mit Phasen des Einordnens in geführte, gemeinsame Aktivitäten wie Reigen, Fingerspiele, Geschichten, Eurythmie und gemeinsame Mahlzeiten. Der Tageslauf ist eingebettet in einen festen Wochenrhythmus, in dem jeder Wochentag ein dem Tag entsprechendes selbst hergestelltes Frühstück hat. Er wird hervorgehoben durch eine besondere künstlerische Tätigkeit, z.B. Malen mit Aquarellfarben, Kneten oder Musizieren. Fester Bestandteil des Tagesablaufs ist zudem das Spiel im Freien- bei jeder Witterung.
„Die Jahreszeiten"
Der Jahreslauf wird durch das Erleben der Jahreszeiten in der Natur bewusst und unbewusst vom Kind wahrgenommen. Dies kann auch für den Erwachsenen eine Hilfe bedeuten, neu und ganz bewusst die Naturvorgänge zu betrachten und zu erleben und einen neuen Zugang zu den Jahresfesten zu finden. In den Jahresfesten finden die Kinder zu ihrer natürlichen Religiosität. Das Feiern der Jahresfeste kann in jeder Familie eine eigene Tradition und Verbundenheit schaffen, die oft ein Leben lang trägt. Mit jeder Jahreszeit und mit jedem Alter ist ein bestimmter Erzählstoff, sind spezielle Märchen und Geschichten verbunden.
Lieblingslieder oder bestimmte Festtagsessen können in den späteren Jahren noch einmal die Kindheitserinnerungen wach werden lassen. Die Feste sind eine Gelegenheit, den Menschen in seiner Dreiheit (Körper, Seele und Geist) anzusprechen. Kinder lieben kleine und große Rituale. Deshalb feiern wir Feste aller Art: Geburtstage, Schulkinderentlassung, Eurythmiefest, Fasching, Ostern, Maifest, Pfingsten, Johanni, Erntedank, Michaeli, St. Martin, Nikolaus, Weihnachten. Dazu kommen Jahres-Veranstaltungen wie das Märchenwochenende und der Basar. Der tragende Rhythmus ermöglicht den Kindern eine Orientierung im zeitlichen Raum und hilft ihnen, sich in unserer Welt zurechtzufinden.
„Unsere Feste"
Der Waldorfkindergarten versteht sich als ein christlicher, aber nicht konfessionsgebundener Kindergarten. Das religiöse Erleben spielt eine bedeutende Rolle. Es werden die christlichen Feste im Jahreskreislauf gefeiert und verschiedene religiöse Elemente gehören zum täglichen rhythmischen Ablauf, wie das Gebet im Morgenkreis, das Dankgebet nach dem Frühstück und das Schutzengellied zum Abschluss. Das kleine Kind denkt noch wesenhaft. Es lebt noch ganz in der Bildsprache und deshalb ist es wichtig, dass die Feste auch bildhaft gestaltet werden. Alle christlichen Feste - nicht nur Weihnachten und Ostern - gehören zur religiösen Kindererziehung im Waldorfkindergarten, denn sie sind wichtige Seelennahrung! Durch die christlichen Feste werden bestimmte Seelenfähigkeiten gepflegt, wie z.B. Ehrfurcht, Hingabe, Mitgefühl, Gemeinschaft, Vertrauen. Jedes christliche Fest mit seinen Bräuchen, Bildern und Symbolen spricht bestimmte Seelenkräfte an:
* Erntedank: Ehrfurcht und Dankbarkeit der Natur gegenüber
* St. Martin: Sinnbild des Teilens. Opferbereitschaft, Güte, Demut
* St. Michael: Mut zum Sieg über das Böse
Früher lebte der Mensch noch ganz eingebunden in die traditionelle Religion und Kultur seiner Umgebung. Heute sind wir fast überall Zeugen für den Zusammenbruch traditioneller Gemeinschaften und den Verlust innerer Werte und einer daraus folgenden immer größer werdenden Orientierungslosigkeit, besonders im Gefühlsbereich. Wenn Kinder nicht ganz die Möglichkeit verlieren sollen, wichtige Seelenfähigkeiten zu entfalten, dann müssen solche Qualitäten stärker denn je durch die Erziehung angelegt werden.